„… weil nur zählt, was Geld einbringt“
Frauen, Arbeit und Film*
Die Erfindung des Films ist geschichtlich eng verknüpft mit dem Aufkommen der fordistischen Fabrik. Nicht nur zeigt der erste Filmstreifen Arbeiter*innen beim Verlassen der Lumière-Fabrik, arbeitende Körper wurden zeitgleich von Étienne Jules Marey auf Fotoplatten gebannt, um den physiologischen Arbeitsprozess genau zu analysieren und produktiver zu machen. Die technologische Innovation des Films wurde vom Kapital zur zunehmenden Kontrolle der Arbeit genutzt. In der Folge schien das Hollywood-Kino die ideologische Indienstnahme zu vollenden – „Kulturindustrie“.
Doch war Kino von Beginn an auch ein Einspruch gegen diese Arbeitsgesellschaft, ein Ort, an dem herrschende Gesellschaftsgefüge aufbrachen, tief verschlossene Gefühle Platz fanden, Wahrnehmung Raum hatte.
Mit dem Schwerpunktthema „… weil nur zählt, was Geld einbringt“: Frauen, Arbeit und Film knüpfen wir an diese Tradition des widerständigen Kinos an, indem wir ein „klassisches“ Sujet der Neuen Frauenbewegung und der feministischen Filmarbeit aufnehmen. In den Blick geraten im Programm die vielfältigen, von Frauen geleisteten Formen von Arbeit – oft „unsichtbare“ Arbeit in Küche, Haushalt und Beziehungen, in Fabriken und Büros, auf dem Filmset, in der Dorfgemeinschaft, in Läden – aber auch Feminisierung, Migrantisierung und Sexualisierung von Arbeit, Emotions„arbeit“ und vielfältige Formen von Widerstand gegen Diskriminierung und Ausbeutung:
A women’s work is never done – Die Filme der ersten beiden Festivaltage blicken auf verschiedenste Aspekte von Sorge- bzw. Hausarbeit. Gleich in drei Langfilmen – in Misteln von Judit Ember, in Kampf um ein Kind von Ingemo Engström und À la vie von Aude Pépin steht Geburt im Zentrum.
Geschichte der Arbeit, Arbeit als Geschichte – Es folgen Filme, in denen Protagonistinnen auf ihr Arbeitsleben zurückblicken, ihre Lebenssituation reflektieren, in denen sich, wie in Roswitha Zieglers Dokumentarfilm Landfrauen, ein Dialog zwischen drei Frauengenerationen entspinnt. Helke Misselwitzs Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann ermöglicht der Zuschauerin einen Rückblick auf Arbeit und die Wahrnehmung einer Zeit, die radikal anders war, als im 24/7 Spätkapitalismus, der unsere Gegenwart ist.
Klassenkampf Cinéma (weltweit) – In Arbeitsverhältnissen manifestiert sich Herrschaft. Dagegen revoltier(t)en Arbeiterinnen, entschließen sich zum Streik, solidarisieren sich. Damit verbunden sind antirassistische und dekoloniale Bewegungen.
Liebe – Arbeit: Durchkreuzungen – Barbara Wurm beschreibt, wie sich in Kira Muratovas Baustellen-Liebesfilm Die grosse weite Welt erkennen Ebenen verschränken: „das Private und das Öffentliche, das Intime und das Kommunale, eben Libido und Produktion“. Damit ist eine grundlegende Erfahrung von Frauen beschrieben, die auch in den drei working girl-Filmen verhandelt wird, die Teil des Programms sind.
*Den Titel des Schwerpunktthemas haben wir der Studie „… weil nur zählt, was Geld einbringt: Probleme der Hausfrauenarbeit“, der beiden Frankfurter Soziologinnen Silvia Kontos und Karin Walser entlehnt. Die Studie erschien 1979.
Tribut an Feminale und femme totale
Köln 1984, Dortmund 1987
Remake widmet sich mit jeder Festivalausgabe der Geschichte feministischer Filmfestivals. Nachdem 2018 der Blick auf das erste europäische gerichtet wurde, das Women’s Event ’72 des Edinburgh International Film Festivals, und im Folgejahr auf die Frauenkinoarbeit in Osteuropa, mit dem Fokus auf die grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen Frauen in Ost und West (Tribut an KIWI – Kino Women International), fokussieren wir uns dieses Jahr auf die ersten Frauenfilmfestivals in der Geschichte Deutschlands, genauer: der BRD. Die Feminale wurde 1984 in Köln gegründet; die erste Festivalausgabe der femme totale folgte 1987 in Dortmund.
Die beiden Frauenfilmfestivals haben gemeinsam, dass sie in NRW entstanden sind – jenseits der damaligen (westdeutschen) Kultur-Zentren, in welchen es bereits Anfang der 1970er Jahre Frauenfilmseminare gab. Die Gründerinnen von Feminale wie femme totale knüpften an diese Entwicklungen an. Sie verfolgten die internationalen Debatten der späten 1960er und 1970er Jahre, in denen sich nicht nur die ersten Generationen der Regisseurinnen fest etablierten, sondern auch die feministische Filmtheorie. Doch sie gingen unterschiedlich mit diesen Errungenschaften um – während die femme totale von Anfang an den Fokus auf die aktive Hinterfragung historischer Theorien und Debatten legte, verschiedene Generationen von Filmfrauen auf der Leinwand und im Diskussionsraum zusammenbrachte, konzentrierte sich die Feminale auf die Sichtbarmachung von Neuem – auf aktuelle Filmexperimente.
Bei der Feminale wurde anfangs ehrenamtlich gearbeitet, die femme totale wurde mit drei ABM-Stellen gefördert, die eine stärkere Institutionalisierung ermöglichten. Dies hinterließ Spuren in der Historisierung der beiden Festivals: während im heutigen Archiv des IFFF Dortmund | Köln alle Protokolle der femme totale, auch verworfene Konzeptentwürfe und unzählige Presseartikel akribisch archiviert sind, finden sich die Feminale-Archivalien hauptsächlich in den Privatarchiven der Organisatorinnen oder Zuschauerinnen. Doch bereits 10 Jahre nach der Entstehung des Festivals veröffentlichten die Feminale-Macherinnen Karin Jurschick und Eva Hohenberger das Buch Blaue Wunder. Neue Filme und Videos von Frauen 1984 bis 1994, eine wissenschaftliche Reflexion auf das Festival und die Debatten um Filme von Frauen.
Mit den Gründerinnen der beiden Festivals wollen wir diese Entwicklungen diskutieren: die jeweils unterschiedlichen Beweggründe und Situationen, aus welchen sie damals entstanden sind sowie Fragen, die für die Zukunft der Frauen-Film-Arbeit relevant sind. Teil der Rückschau ist ein Kurzfilmprogramm mit Filmen, die bei den Festivals damals gezeigt wurden.
Ungenierte Unterhaltung
Frieda Grafe. Filmkritikerin
Wir waren Frieda Grafe freundschaftlich verbunden, trafen sie auf Filmreisen, Filmfestivals, im Filmmuseum und in der Ainmillerstraße in München. Wir hatten sie zu Gast in Frankfurt am Main, als sie Mitte der 90er Jahre am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft ein Seminar hielt – zu Farbe, verstand sich damals. Nach ihrem Tod 2002 versammelte Enno Patalas ihre in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern verstreuten Filmkritiken, Filmnotizen und Essays in einer Folge von „Heften“ – cahiers. Auf dieser Werkausgabe, erschienen im Verlag Brinkmann & Bose, vor allem beruht die heute wieder verstärkte Aufmerksamkeit für die außerordentliche Filmschriftstellerin und die Auseinandersetzung mit ihr. Eine Publikation des Harun Farocki Instituts, Berlin, herausgegeben von Volker Pantenburg und Sissi Tax, ebenso ein Dossier der belgischen Online-Plattform Sabzian, Beschreven cinema. De filmkritiek van Frieda Grafe, verweisen auf ein neues Interesse.
Uns liegt daran, Frieda Grafe im Kontext feministischer Kinoarbeit sichtbar zu machen. Remake – Frankfurter Frauen Film Tage widmet ihr in Text, Wort und Filmen die diesjährige Hommage. Wir nahmen Grafes Essay „Die saubere Architektur in Gefahr. Die Grandhotels in der Unterhaltungsindustrie“ zum Ausgangspunkt für unser Programm. Aus dem „Filmhistorischen Hotelführer“, einem 10-teiligen Filmprogrammentwurf, der dem Essay beigefügt ist, wählten wir Filme aus, die wir im Rahmen von Remake zeigen.
Frieda Grafe, die Filmkritikerin und Übersetzerin, verbrachte ihre Lehrjahre an der Cinémathèque Française, unter den Protagonisten der Nouvelle Vague und der Cahiers du Cinéma. „Ungenierte Unterhaltung“, ein fast beiläufiger Begriff im Grandhotelfilm-Text, ist provokativ genug, um eine Liebe zum Kino aufscheinen zu lassen, die den Mythos von Kunst und Meisterwerken durchbricht. Und damit den Blick frei gibt auf die Frauen im Kino.
Wir möchten das Grandhotel-Filmprogramm im nächsten Jahr auf Reisen schicken und ihm zur Begleitung eine eigene Publikation beigeben. Wir hoffen, darin den gesamten Essay „Die saubere Architektur in Gefahr. Die Grandhotels in der Unterhaltungsindustrie“ wieder abzudrucken, und ihm dann Beiträge, die von diesem Text angeregt wurden, hinzufügen zu können. Das Buch wird Anfang 2022 in Zusammenarbeit mit Synema, Wien erscheinen. Herausgeberinnen sind Karola Gramann, Ute Holl und Heide Schlüpmann.
Karola Gramann, Heide Schlüpmann